Im Zusammenhang mit dem Problemfeld “Lese-Lern-Probleme / Low Achiever” ist auch die Winkelfehlsichtigkeit* zu sehen. Sie gehört zum Bereich der Störungen der Vergenzen, kann aber auch die Folge von Defiziten in den Blickbewegungen und / oder der Akkommodation sein. Unter einer Winkelfehlsichtigkeit versteht man einen „Bildlagefehler“ des Auges, der durch die Abweichung der beiden Sehachsen von der Ideallinie entsteht. Beim Blick auf ein Objekt können die Fixierlinien der beiden Augen nur unter Anstrengung auf den fixierten Punkt gehalten werden; gelingt dies nicht, so entsteht ein Doppelbild oder es wird ein Seheindruck unterdrückt. Beide Möglichkeiten erfordern einen erheblichen Energieaufwand und reduzieren die Qualität des beidäugigen Sehens.
Bei stabilen Messwerten kann die Winkelfehlsichtigkeit auch mit prismatischen Brillengläsern (Prismenbrille) korrigiert werden; dabei können die Augen in die Ruhelage auswandern und sehen trotzdem durch das Prisma „geradeaus“. Die besondere Problematik liegt darin, dass gerade bei Kindern die Winkelfehlsichtigkeit oft mit einer unzureichenden Blickmotorik gekoppelt ist und situationsabhängig häufig stark schwankende Messwerte zu finden sind, die eine Korrektion für alle Sehaufgaben unmöglich machen. Deshalb bevorzugt die Funktionaloptometrie als Lösungsansatz das optometrische Visualtraining, weil dabei das Problem ursächlich und nicht symptombezogen angegangen wird.
Die Augenheilkunde kennt den Begriff der Winkelfehlsichtigkeit nicht und bezeichnet diese Stellungsabweichung der Augen als Phorie. Dabei besteht der Unterschied nur darin, dass die Winkelfehlsichtigkeit unter exakt definierten Messbedingungen mit Hilfe der MKH (Mess- und Korrektionsmethode nach H.-J. Haase) bestimmt wird, während die Phorie zumeist unter unnatürlichen Mess- und Beleuchtungsbedingungen nur qualitativ erfasst wird. Diese groben Phoriemessungen sind völlig ausreichend, weil daraus in der Regel keine Korrektion abgeleitet wird.
Bei Muskelgleichgewicht (muskuläre Balance) zeigen beide Sehachsen beim Blick auf ein Objekt auf denselben Punkt. Das optometrische Visualtraining hat zum Ziel, diesen Zustand mit entsprechend großen Belastungsreserven zu erhalten oder wieder herzustellen. |
Abbildung 2 | Abbildung 3 |
Bei Muskelungleichgewicht (muskuläre Dysbalance) schneiden Sich die beiden Sehachsen vor (Abb. 2) oder hinter (Abb.3) dem angeblickten Objekt. Eine erhöhte muskuläre und / oder sensorische Anstrengung ist erforderlich, um das Objekt einfach zu sehen. Alternativ entsteht ein Doppelbild.
In beiden Fällen ist ein erhöhter Energieaufwand erforderlich um ein stabiles einfaches Bild zu sehen. Häufige Nebenwirkung sind die sog. asthenopischen Beschwerden wie Unscharfsehen, Augenbrennen, Kopfschmerzen, schnelles Ermüden beim Autofahren, Lesen…
Mit einer sehr differenzierten Methode (MKH) kann die Stellungsabweichung der Augen gemessen und bei stabilen Verhältnissen mit Prismengläsern korrigiert werden. Dabei können die Augen die abweichende Stellung beibehalten, sehen aber trotzdem „geradeaus“ auf das Zielobjekt. Diese Methode unterstellt die Abweichung der Sehachsen als unveränderliche Tatsache und schafft eine technische Korrektur – beim Abnehmen der Brille ist der Fehlstellung wieder wirksam. |